Father of Chicago Blues
Die Geschichte von einem, der auch die „Mother“ hätte sein können, weil er allen den Blues gab wie eine Mutter die Milch.
Die Platte hatten wir alle schon gehört „The last Walz“, der Abschied von The Band, der Lieblingsbegleitband von Bob Dylan mit Robbie Robertson als spiritus rector. Dass es davon einen Film gab, wussten wir nicht. Aber die Kneipe hatte einen großen Bildschirm und da lief das Video. Neueste Technik. Wir saßen davor und waren ergriffen.
Muddy haute sein „Mannish Boy“ raus und die weißen Jungs um Robbie taten ihr Bestes, so schwarz wie möglich zu spielen. Denn Muddy konnte von Zeit zu Zeit keine Gitarre halten, eine Folge der Erbkrankheit, die seine Finger zittern ließen.
Es war dieser Blues, der den 12takter kurz in die Ferien schickte und auf einem Akkord verharrte. Um wieder und wieder diesen eruptiven Ausflug in die Pentatonik zu unternehmen, der uns in Trance versetzte. Und Muddy Waters presste sein „Meeeeee-iiin“ aus der Kehle, als wenn von einem Dampfkochtopf immer und immer wieder nur kurz der Deckel angehoben wird, um Dampf abzulassen. Muddy sang nicht, er brodelte gefährlich, man hatte den Eindruck, kurz vor einem Vulkanausbruch zu stehen. Das war das Geheimnis. Man erwartete von Mal zu Mal, dass es passiert, Das Unerwartet, das Irre, der Orgasmus. M-A-N, immer wieder „Meeeeeee-iiin“. Wir waren von der Rolle, selbst das Bier blieb stehen.
Dann kam der Typ rein, der immer und bei allem einen dummen Spruch drauf hatte. „Hey Leute, die Platte hängt!“. Ich verlor die Fassung. Es war ungefähr so, als wenn der Papa beim viertenmal hin-und-herschieben von der Mama gefragt würde ob denn nicht bald Schluss wäre.
Später hatte es mich dieses Ereignis dazu gebracht, anderer Leute Meinung und Auffassung mehr zu respektieren. Denn nicht alles, was mir gefällt, gefällt auch anderen – und umgekehrt. Ich verstehe zwar nicht, wie junge Leute den Florian Silbereisen gut finden. Oder den Hansi Arland (?). Aber ich mache mich nicht mehr lustig, wenn Tante Hilde vorm Fernseher nicht nur feuchte Augen kriegt, wenn Hansi Hinterhuber – oder wie er heisst – singt „…nur sooo ist die Liiiiebe.“ Oder was weiss ich fürn Scheiss. Ist halt so. Und wenn ich meine Musik höre, möchte ich auch nicht mehr hören vom Schwiegervater: „immer diese Negermusik, können die nicht Deutsch singen?“. Doch, können die auch – bitte nachschauen auf dieser Site: Blues in Deutsch…“.
Doch jetzt weiter mit Muddy, auf nach Chicago. Wenn man den Stammbaum des Blues erfinden wollte, könnte man sich vorstellen, Mama Delta-Blues und Papa Country-Blues machten sich auf in die Stadt, um ein besseres Leben zu finden und bekamen einen Sohn, den Chicago-Blues. Ob das Leben, der Blues dadurch besser wurde, sei dahingestellt. Auf jeden Fall wurde er urbaner, bekam Schlagzeug, elektrische Gitarren und etwas Glanz. Und der Sohn wurde zum Vater: Muddy Waters, „The Father of Chicago Blues“. Und wie wir wissen, war Muddy nicht den Weibern abgeneigt. Kein Wunder – kamen dabei Kinder wie der London Blues heraus. Aber davon an anderer Stelle.
Am 4. April 2013 wäre Muddy Waters 100 Jahre alt geworden. So genau weiss das aber niemand, in den Plantagen in Clarksdale, Mississippi, war man (Frau) froh, wenn die Geburt endlich vorbei war und die Arbeit weitergehen konnte. Das Datum war Nebensache, das Überleben wichtiger. Doch selbst das war vakant, denn seine Mama starb, als er gerade 4 oder 5 Jahre alt war. Die Grandma kümmerte sich um ihn, der so gerne im Schlamm spielte und wohl deshalb seinen Namen bekam. Denn eigentlich hieß er McKinley Morganfield.
Seine ersten Aufnahmen machte er in den Jahren 1941/42, während des 2. Weltkrieges. Hier war er noch im Delta zu Hause. Zu finden sind diese wirklich legendären Aufnahmen noch heute unter dem Titel „Library Of Congress Recordings“ und „The Complete Plantation Recordings“, die auch die ersten Aufnahmen aus Chicago enthält – teilweise auch bisher unveröffentlichtes Material.
So richtig los ging es mit Muddy beim Label Chess ab 1947. Hier landete er, nach dem er zusammen mit Sunnyland Slim wenig Erfolg hatte, seinen ersten Treffer: „I Can’t Be Satisfied“. Klang immer noch ziemlich Delta, aber seine erfolgreichen Aufnahmen kamen ja erst noch.
Wenn man den Blues verstehen will, muss man wissen: der Blues und seine großen Vertreter waren immer irgendwie zusammen. Namen wie Howling Wolf, Willie Dixon, Little Walter, Sunnyland Slim. BB King, Johnny Winter (ja, auch er!) – hier wahllos genannt – fanden (und finden) immer wieder zusammen und machen die Ursuppe aus, aus der immer wieder neue Namen an die Oberfläche kommen. Heute ist der Blues, auch nach dem Tod vieler Heroes, immer noch am kochen und bringt Namen wie Derek Trucks oder Robben Ford hervor.
In Deutschland wurde Muddy populär, als das American Folk Blues Festival in den 60er Jahren tourte. Ein Erfolg für Lippmann und Rau als Touneeveranstalter (Fritz Rau ist ja heute noch aktiv und als Mentor vieler Blues- Rock- und auch Schlagergrößen anerkannt).
Berühmt wurden auch die excellenten und umwerfend guten Tourneeplakate dazu von Günther Kieser aus Frankfurt am Main.
Muddy Waters gilt als der „Erfinder“ des Riffs auf der Gitarre. Durch seinen konsequenten Einsatz der E-Gitarre hat er grundlegende Formen des Blues neu gegossen und unzählige Musiker, auch in der Rockmusik stilistisch beeinflusst und geprägt. Muddy wurde Mitglied der Blues- und Rock’n’Roll Hall of Fame.
Tipp: Muddy hatte ja ein irrsinig großes Convolut an Aufnahmen hervorgebracht. Wenn man sich auf Muddy einstimmen will, darf man an folgenden Aufnahmen nicht vorbei:
Mannish Boy
Hoochie Coochie Man
Got My Mojo Working