Upstairs with the Blues oder per aspera ad astra?
Was macht denn der da? Ist das Rückkopplung? Jon Spencer bewegt seine Hand vor einem Monitor – oder was soll das sein – und heraus kommt so eine Art elektronischer Musik?
Beim Theremin (kein Medikament oder Dope, siehe Beispiel 1) beeinflusst die Position der Hände oder auch des ganzen Körpers gegenüber zwei Elektroden die Höhe der Schwingung, also der Töne. Das Theremin nahm eine führende Stellung im elektronischen Instrumentenbau ein (z.B. Moog-Synthesizer). Dabei wurde es in Science-Fiction-Filmen und experimenteller Pop-Musik eingesetzt. Erst seit den 1990ern hat es sich etwas popularisiert. Und warum? Weil eine Blues-Band um Jo Spencer sich seiner bedient.
Aber jetzt der Reihe nach. Jon Spencer gründete seine Band 1990, einer Zeit, wo sich der Blues mal wieder auf Sinkflug befand. Jon war das egal, er gab Gas oder besser Kerosin und machte aus der alternden Cessna wieder ein Düsenflugzeug.
Und so verstand er das, vorsichtig übersetzt: „Gib Gummi, vergiss deinen Hausarzt, lass den Puls rasen bis zum Herzkasper. Und geh nach oben, da wartet der Blues auf dich. Und hast du Breaks in deinem Leben (und es gab einige bei Jon und Co.) machst du wie beim Blues einfach weiter. „Upstairs with The Blues“.
Dass es sich bei der Blues Explosion um eine Band aus New York handelt, ist nach den ersten Takten klar. Hier scheint sich Velvet Underground aus den Tiefen des New Yorker U-Bahn Labyrints an die Oberfläche bewegt zu haben. Und Lou Reed Arm in Arm mit David Bowie, im Central Park zu kiffen.
Der irdene Blues wird hier unbarmherzig in ein schwarzes Sphärenloch gezogen, um am anderen Ende als Jon Spencer Blues Explosion zu Mutter Erde zurückzukehren. Um diesen Kraftakt zu verstehen, haben wir Beispiele dieser Entwicklung zum Hören und Sehen angefügt. Man beachte das improvisierte Schlagzeug in Beispiel 2. Hier wird ein Pappkarton mittels Stuhlbeschwerung und Fliegenklatsche zum Drumset. Kommt gut. Das Beispiel 3 zeigt dann Jon & Co. auf der Höhe ihres Schaffens nach der Rückkehr auf die Erde. Kommt genial. Explosiv. Mit oder ohne Theremin.
Die Jon Spencer Blues Explosion brilliert nicht mit kniedeligen Fingerübungen oder Formel-1-Schreddings oder sonstwelchen atemberaubenden Soli. Im Gegenteil. Man fragt sich bei erstem Anhören ob sich hier eine 3-Chord-Punk-Band aus den 70ern auf die Bühne getraut hat. Die unerschrockene Spielweise, die jede Musikerpolizei beim Clubkonzert die Mundwinkel verächtlich nach unten ziehen lässt – hier wird sie zelebriert. Und erweist sich beim Eintauchen in die Musik als erlösend genial.
So gesehen ist das Ausserirdische nach dem Urknall im schwarzen Loch dann schon wieder sehr erdig weil vollkommen unkompliziert. Aber Vorsicht. Wer denkt, hier sind ungeübte Anfänger am Werk, wird ganz leicht auf eine ausgelegte Fangspur geführt. Und wenn sich der geübte Musiker darauf einlässt, wird er umweigerlich gefangen. Sollte Musik nicht einfach einfach gehört werden, ohne Vorurteile? Manch einer hat beim Free-Jazz auch schon mal gedacht, die stimmen ja nur ihre Instrumente bevor sie von den Klängen erfasst und im Strudel der Töne ertranken.
Als The Jon Spencer Explosion in Hamburg bei einem spontanen Gig 2012 in einem Musikladen auftraten, wurde so manch einer vom Kopfschütteln zum Headbangen gebracht. Die drei Jungs (Jon, Gitarre, Gesang /Judah Bauer, Gitarre / Russell Simins, Schlagzeug) als Power-Trio ohne Bass(!) aufgestellt, kamen mit ihren Amps und dem abgespeckten Schlagzeug, stöpselten die zwei Gitarren ein und legten los. So wie dunnemals unser aller Jimi von Cream eingeladen wurde und zum Entsetzen von Basser Jack Bruce einfach seine Strat in Jacks Bassverstärker einstöpselte, um danach alle an die zu Wand blasen. Hinterher hatte Hendrix gestanden, einfach so aufgeregt gewesen zu sein, dass er gar nicht wusste, wo welcher Amp stand. Er wollte einfach nur loslegen.
Diese unprätentiose Art ist eben nicht nur ein Zeichen New Yorker Rocker, Blueser oder auch Jazzer. Sie ist Blues.
Hier wird wieder der Anschluss an die Ursprünge des Blues geknüpft. Die Form ist nicht das Wichtige, sondern der Inhalt, die Message, das Feeling, das vermittelt wird. Obwohl, wie Herr Intellektuell einwirft, diese coole, unaufgeregte Art in diesem Moment eine Form ist, die wiederum aufgelöst werden muss um danach als freie Form zu gelten, um dann… Ok, ok.
Ich weise darauf hin, dass dieser Blogbeitrag nicht nachts um Zwei unter Einfluss von halluzinogenen Trockenpilzen verfasst wurde, sondern morgens früh halb sieben, direkt nach Aufsuchen der Toilette spontan in den Rechner gehackt … weil gerade die in Vinyl gerillte „Meat and Bone“ LP aus der Blue-Tooth-Bose-Box ertönt.
Yes, Sir: vom Klo in die Stube. Oder vornehm: per aspera ad astra. Jetzt gibt’s Kaffee, upstairs zu den Sternen…
Beispiel 1: die Wirkung des Theremins 🙂
Jon Spencer plays the Theremin
Beispiel 2: Akustisch auf der Erde…
Was hier zum Schluss quiiiitscht, das ist das Theremin, im Abspann leider nicht mehr zu sehen
The Jon Spencer Blues Explosion
Recorded live in ‚Le Grenier‘ @ the venue ‚La Vapeur‘ in Dijon, at the end of May, 2011
Beispiel 3: Heftig nach Rückkehr aus der Sternenwelt!!!
The Jon Spencer Blues Explosion
Strange Baby
Live at The Birthday Party
June 8, 2012
Es ist erfrischend, das es immer wieder Musiker gibt, die sich nicht an Konventionen halten oder meinen, irgendwelche Standards einhalten zu müssen sondern einfach SPIELEN!!!